Mit Entsetzen haben wir am Wochenende zur Kenntnis genommen, dass das OLG Berlin-Brandenburg die Nichtzulassungsbeschwerde betreffend der Haasenburg GmbH abgewiesen hat. Damit wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus aus November 2023 rechtskräftig, nach dem die Schließung der Einrichtung rechtswidrig war.
Im Folgenden veröffentlichen wir eine Stellungnahme der Interessensgemeinschaft ehemaliger Haasenburgkinder.
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Statement der Betroffenen und Opfer der Haasenburg-Einrichtungen zum Gerichtsbeschluss
Mit tiefer Trauer und großem Schmerz nehmen wir den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zur Kenntnis, der die Nichtzulassungsbeschwerde abgewiesen hat. Damit ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus, das im November 2023 gefällt wurde, rechtskräftig.
Die Haasenburg GmbH könnte nun, sollte sie sich dafür entscheiden, unter Umständen zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gegen das MBJS geltend machen.
Wir, die Betroffenen und Opfer der Haasenburg-Einrichtungen, empfinden diesen Beschluss als einen weiteren Schlag ins Gesicht, eine tiefgreifende Missachtung unseres Leidens und als eine Bestätigung, dass in diesem System etwas vollkommen in Schieflage geraten ist. Die Entscheidung ignoriert die schwerwiegenden Missstände, akuten Gefährdungssituationen und den offensichtlichen Missbrauch von Schutzbefohlenen, die 2013 zur Schließung der Einrichtungen führten. Mehrere Todesfälle und zahlreiche Berichte über Misshandlungen, Vernachlässigung und schwerste physische sowie psychische Gewalt stehen als bedrückendes Zeugnis für das Versagen der Haasenburg GmbH, das Wohl der Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten.
Die Schließung der Haasenburg-Standorte und der Entzug der Betriebserlaubnis durch das Landesjugendamt Brandenburg waren 2013 notwendige und alternativlose Maßnahmen zum Schutz der dort untergebrachten Kinder und Jugendlichen. Dass dieser wichtige Schritt nun als rechtswidrig eingestuft wurde, sendet ein beunruhigendes Signal. Es signalisiert anderen Einrichtungen, die ähnlich agieren, dass selbst gravierende Missstände möglicherweise ohne Konsequenzen bleiben. Wenn man der Haasenburg die Betriebserlaubnis nicht entziehen kann, welcher Einrichtung dann?
Während des gesamten Verfahrens standen im Grunde zwei Täterparteien vor Gericht. Die Haasenburg, die mit ihren Mitarbeitern systematischen Missbrauch an Schutzbefohlenen verübte, und das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS), das seiner Kontrollpflicht nicht ausreichend nachgekommen ist und somit den Missbrauch ermöglichte. Dass das MBJS trotz erkennbarer Missstände weiterhin Betriebserlaubnisse erteilte, zeigt ein eklatantes Versagen der Aufsichtspflicht.
Wir begrüßen ausdrücklich die Maßnahmen, die seit 2013 ergriffen wurden, um den Kinder- und Jugendschutz in Brandenburg zu stärken, wie die gesetzlichen Verschärfungen für Betriebserlaubnisse, die Schaffung der Beratungs- und Ombudsstelle Kinder- und Jugendhilfe sowie die Einrichtung des Kinder- und Jugendhilfe Landesrats. Diese Initiativen sind wichtig und richtig, können aber den Schmerz und die Enttäuschung, die wir heute empfinden, nicht lindern und vorausgegangenes Unrecht unmöglich aufheben.
Wir fordern weiterhin eine konsequente und transparente Aufarbeitung der Ereignisse in den Haasenburg-Einrichtungen. Die Sicherheit und das Wohl von Kindern und Jugendlichen müssen stets oberste Priorität haben. Wir appellieren an alle Verantwortlichen, die Lehren aus diesem Fall zu ziehen und sicherzustellen, dass solche Vorkommnisse in Zukunft verhindert werden.
Es wurde nicht darüber geurteilt, ob wir dort Opfer von Missbrauch wurden oder nicht. Der Richter, der das Urteil im November letzten Jahres am Verwaltungsgericht Cottbus fällte, sagte sinngemäß, dass in diesem Gerichtsverfahren nicht über die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen entschieden wurde. Besonders fragwürdig ist, dass die Richter bei ihrer Urteilsfindung hauptsächlich die letzten neun Monate betrachteten, in denen die Haasenburg unter besonderem öffentlichem Druck stand und vom MBJS Auflagen erhielt. Trotz vergangener Auflagen durch das MBJS wurden in der Vergangenheit weiterhin gravierende Missstände nachgewiesen und auch Verstöße gegen diese Auflagen. Was hätten also weitere Auflagen gebracht, wenn die Haasenburg trotz vorheriger Anweisungen, wie z.B. die auf Fixierungen zu verzichten, weiterhin dagegen verstoßen hat? Ab wann ist das Vertrauensverhältnis zu einem Unternehmen so zerrüttet, dass zusätzliche Auflagen nur noch unter Billigung einer permanenten latenten Kindeswohlgefährdung gestellt werden können? Es ist besonders irritierend, dass die letzten neun Monate der Betriebszeit der Haasenburg herangezogen wurden, in denen der Personalschlüssel erstmals so aufgestellt war, dass keine automatische Kindeswohlgefährdung vorlag. Dies geschah, weil die Jugendämter begannen, nachdem die ersten Missbrauchsfälle ans Tageslicht kamen, die Kinder aus den Heimen der Haasenburg zu nehmen, bevor die Einrichtungen endgültig geschlossen wurden. Ein Personalschlüssel, der so eklatante Mängel aufwies, wäre andernfalls eine Kindeswohlgefährdung gewesen. Sie wählten also einen der wenigen Zeiträume, in dem aufgrund einer Unterbelegung die Kindeswohlgefährdung nicht automatisch gegeben war. Warum der Haasenburg in diesem Zeitraum erneut eine Betriebserlaubnis erteilt wurde, bleibt uns ein Rätsel und war wohl einer der Hauptgründe, warum die Haasenburg vor Gericht siegte. Auch der Umstand, dass man bei der Urteilsfindung einen besonderen Wert auf die Unterlagen der Haasenburg gelegt hat, die geschönt, falsch und schlicht Lügen enthielten, ist für uns Betroffene nur schwer zu ertragen. Der Vorsitzende der Expertenkommission die 2013 das Gutachten erstellten, dass zur Schließung der Heime der Haasenburg führten sagte, dass man den Unterlagen dieser Einrichtung nicht trauen darf. Ein weiterer Schlag ins Gesicht. Dies wirkt beabsichtigt und lässt vermuten, dass absichtlich ein Zeitraum gewählt wurde, der für die Haasenburg günstig war. Es scheint uns, als ob hier Unrecht gesprochen wurde.
Unser tiefstes Mitgefühl gilt jedoch allen Betroffenen und Opfern der Haasenburg. Es gibt etwa 1000 ehemalige Betroffene, und wir hatten das Vergnügen, viele davon kennenzulernen. Wir sind Mütter, Väter, Brüder, Schwestern, Freunde, Arbeitskollegen und Teil dieser Gesellschaft. Viele von uns sind nach der Haasenburg abgestürzt und haben sich danach wieder gefangen, nicht wegen der Haasenburg, sondern trotz der Haasenburg. Es sind alles liebenswürdige Menschen, die dieses Leid nicht verdient haben.
In der Haasenburg wurde schwerster Missbrauch an uns häufig damit begründet, dass wir „Verantwortung für unser Handeln“ übernehmen müssten, nur um drakonische Strafen bei Widerspruch und kleinsten Vergehen zu erfahren. Es war für die meisten von uns ein Leben in ständiger Angst. Die Haasenburg beendete abrupt unsere Kindheit und teilte unser Leben in ein „vor“ und „nach“ der Haasenburg ein, mit teilweise schwersten psychologischen Folgen.
Es war erschütternd zu beobachten, wie wenig Bereitschaft gezeigt wurde, Verantwortung für das uns zugefügte Leid zu übernehmen. Es gab im Brandenburger Landtag und der Bremischen Bürgerschaft Entschuldigungen und Bekundungen, sich für Entschädigungen stark zu machen, aber letztlich trugen diese nicht zur Verbesserung unserer Situation bei. Wir sind es leid, Entschuldigungen zu hören, die sich politisch gut verkaufen lassen, aber keine wirkliche Veränderung bewirken. Wir fordern, dass endlich konkrete Maßnahmen ergriffen werden.
Aber wir übernehmen Verantwortung. Verantwortung für all diejenigen, die nach uns kommen. Sie können uns Unrecht antun, aber uns nicht mehr unserer Stimme berauben. Wir sind keine Kinder mehr, die man demütigen und missbrauchen kann, sondern Erwachsene – vollwertige und emanzipierte Mitglieder dieser Gesellschaft – die sich in der Tradition der Jugendwerkhöfe für Gerechtigkeit einsetzen und sich seit über zehn Jahren für eine Verbesserung in der Jugendhilfe stark machen. Auch wenn das alles oftmals schrecklich ungerecht ist, haben wir mit vereinten Kräften Strukturen geschaffen, die eine Wiederholung verhindern sollen.
Diese schrecklichen Erfahrungen, die uns einsam machten, weil sie in ihrer Grausamkeit einzigartig sind, haben uns zu einer eigenen kleinen Schicksalsgemeinschaft gemacht. Eine Gemeinschaft, die nicht immer einer Meinung ist, aber immer geeint, wenn es darum geht, eine bessere Zukunft für Kinder zu schaffen. Es ist unsere Aufgabe, denjenigen eine Stimme zu geben, die keine haben. Weil wir wissen, wie es ist, von einem System verschluckt zu werden, dass sich von jedem humanistischen Gedanken verabschiedet hat. Einem System, dass einem die Stimme nimmt. Und solange der totalitäre Geist der Haasenburg fortbesteht, und sich nichts Grundlegendes am System ändert, solange werden wir rebellieren und denjenigen eine Stimme geben, die keine haben. Gewinnorientierte Interessen, dürfen niemals über das Kindeswohl gestellt werden und eine Gesellschaft muss sich immer daran messen, wie sie ihre schwächsten Mitglieder behandelt. Wir müssen besser sein als das. Das ist unsere gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das Verfahren mag zwar verloren sein, aber den moralischen Sieg, den wird uns niemals jemand nehmen können. Wir stehen zusammen.
Die Interessensgemeinschaft ehemaliger Haasenburgkinder
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Danksagungen
Wir möchten uns ausdrücklich bei denjenigen bedanken, die uns in den letzten zehn Jahren unterstützt haben und uns halfen, den Stummen eine Stimme zu geben. Ein ganz besonderer Dank gilt Kaija Kutter, die durch ihren unermüdlichen Einsatz immer wieder einen Scheinwerfer auf die Geschehnisse warf. Unser Dank gilt auch den Kinderseelenschützern, insbesondere Dennis Engelmann, der uns Hilfestellungen angeboten hat und dem diese Sache ebenso am Herzen liegt wie uns. Wir konnten viel voneinander lernen. Wir danken auch Ronny Prieß, Prof. Tilmann Lutz und Prof. Lindenberg. Ebenso möchten wir der Evangelischen Hochschule Hamburg und der Universität Hamburg danken, die uns stets unterstützten.
Ein besonderer Dank geht auch an das Aktionsbündnis gegen geschlossene Unterbringung, das Careleaver Collective e.V., OHA! Verstärker für Kinder- und Jugendrechte und viele, viele andere. Ohne euch wäre das kaum möglich gewesen.
Es war gut, euch an unserer Seite zu wissen. Danke!