Stellungnahme von OHA! zu Aussagen von Friedrich Merz beim Kommunalkongress des DStGB (Deutscher Städte- und Gemeindebund)
- OHA! Verstärker für Kinder- und Jugendrechte
- vor 19 Stunden
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Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit – so heißt es gleich zu Beginn des SGB VIII (§ 1 Abs. 1). Dieses Recht umfasst Schutz, Teilhabe, Beratung und Unterstützung – nicht nur im Notfall, sondern kontinuierlich und verlässlich. Die Kinder- und Jugendhilfe ist damit keine beliebige kommunale Aufgabe, sondern ein gesetzlich garantiertes System öffentlicher Verantwortung für junge Menschen und Familien.
Vor diesem Hintergrund ist die Aussage von Friedrich Merz, jährliche Ausgabensteigerungen von über 10 % in der Jugendhilfe seien „nicht länger akzeptabel“, ein fatales Signal. Sie verkennt die Ursachen dieser Entwicklung ebenso wie die verfassungsrechtlich und gesetzlich verankerte Aufgabe der öffentlichen Jugendhilfe.
Aus Sicht der Ombudsstelle zeigt sich klar: Die steigenden Kosten spiegeln nicht etwa eine Überversorgung wider, sondern einen gestiegenen Bedarf – verursacht durch gesellschaftliche Schieflagen, prekäre Lebensverhältnisse, psychische Belastungen, überforderte Systeme und oft auch politisches Nichthandeln. Neben der Verdichtung sozialer Problemlagen trägt insbesondere auch die zunehmende Fokussierung auf Einzelfallhilfen – zulasten einer präventiven Logik – zur Kostendynamik bei. Jugendhilfe reagiert zunehmend im Modus des Kinderschutzes gemäß § 8a SGB VIII, statt früher und strukturstärkend zu unterstützen.
Nicht zu vergessen: Der größte Einzelposten in der Kinder- und Jugendhilfe bleibt seit Jahren die Kindertagesbetreuung. Die mit den Rechtsansprüchen auf einen Krippen- und Elementarplatz ab den 1990er-Jahren und insbesondere ab 2013 massiv ausgebaute Infrastruktur schlägt selbstverständlich zu Buche – und das zurecht: Denn auch hier handelt es sich um verbindlich gesetzlich verankerte Leistungen mit hoher gesellschaftlicher Bedeutung.
In unserer täglichen Arbeit erleben wir, wie schwierig es für junge Menschen und Eltern sowie Pflege- und Wahlfamilien ist, überhaupt Zugang zu passgenauer Hilfe zu bekommen. Verfahren sind langwierig, Beteiligung bleibt oft auf der Strecke, Leistungen werden gekürzt oder ganz versagt. Gleichzeitig werden die Anliegen komplexer, die Anforderungen an Fachkräfte steigen, der Handlungsdruck wächst – bei gleichzeitigem Fachkräftemangel und politischer Zurückhaltung.
Die Debatte um „zu hohe Kosten“ lässt außer Acht, dass hinter jedem Euro ein Kind, ein junger Mensch, Familiensysteme, Erziehungsverantwortliche oder Sorgegemeinschaften stehen, die Unterstützung brauchen. Jugendhilfe ist keine freiwillige Leistung, sondern eine gesetzlich garantierte Antwort auf konkrete Notlagen und ein Beitrag zur Realisierung fundamentaler Rechte. Das gilt nicht nur für individuell einklagbare Leistungen wie Hilfen zur Erziehung oder Kindertagesbetreuung, sondern ebenso für Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit oder Familienbildung. Auch diese Leistungen sind gesetzlich verankert und stellen zentrale Bausteine einer lebendigen, gerechten Kinder- und Jugendhilfelandschaft dar.
Besonders irritierend ist in diesem Zusammenhang auch die pauschale Bezugnahme auf die Eingliederungshilfe. Denn Kinder- und Jugendhilfe und Eingliederungshilfe sind keine haushalterische Sparmasse, sondern rechtlich verankerte Leistungen für von Marginalisierung betroffene Gruppen. Sie sichern Schutz, Teilhabe und Inklusion – und sind Ausdruck eines gesellschaftlichen Konsenses, niemanden zurückzulassen. Wer hier in erster Linie auf Kosten blickt, blendet nicht nur gesetzliche Verpflichtungen aus, sondern gefährdet das Fundament sozialer Gerechtigkeit.
Es braucht nicht weniger, sondern klügere und frühere Hilfen. Eine starke Jugendhilfe ist kein Kostenproblem – sie ist ein Gradmesser für sozialen Zusammenhalt.
Friedrich Merz Rede
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